In diesem Artikel möchten wir 3 Thesen zur Verbindung zwischen Entwicklungstrauma und Spiritualität beleuchten:
- These 1: Für viele Menschen (besonders Kinder) ist Spiritualität und Spiritualisieren der beste Weg mit (Entwicklungs-) Trauma umzugehen.
- These 2: Wenn Kinder (Menschen) primär in spirituellen Ebenen leben, bleiben wichtige ‘menschliche’ Entwicklungen aus und ‘Spiritual Bypassing’ – das Umgehen alltäglicher Herausforderungen – wird wahrscheinlich.
- These 3: Die Transformation der alten (Entwicklungs-) Traumata und Überlebensstrategien ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einer authentischen Spiritualität. (Dies wird oft als Schattenarbeit bezeichnet – wir empfinden es als präziser und empathischer von der Transformation alter Überlebens-Strategien zu sprechen.)
These 1: Für viele Menschen (besonders Kinder) ist Spiritualität und Spiritualisieren der beste Weg, mit (Entwicklungs-) Trauma umzugehen
Entwicklungstrauma (oder Bindungstrauma) ist ein wichtiges und gleichzeitig sehr komplexes Thema – nicht umsonst hat Bessel van der Kolk es die “versteckte Epidemie” genannt.
Entwicklungstrauma entsteht in Situationen, in denen Kinder von ihren Bezugspersonen (meistens Eltern) nicht das bekommen, was sie für ihr psycho-biologisches Wohlbefinden und ihre Entwicklung brauchen.
Zum Beispiel: Ein Kind erhält nicht den Körperkontakt, den es braucht, um zu lernen, sich selbst und den eigenen Körper wahrzunehmen und zu regulieren.
Das hat 2 Folgen:
- Dies erzeugt Schmerz, Dysregulation und Überlebensangst im Kind (da es noch nicht die Kapazitäten hat, die Situation zu reflektieren)
- Es können sich dadurch essentielle Fähigkeiten für ein gesundes menschliches Leben nicht entwickeln, sondern es entwickeln sich Überlebens-Strategien.
In der Kindheit ist Spiritualität (und Spiritualisieren) eine Möglichkeit genau damit umzugehen – dem Schmerz, der Dysregulation und der erschwerten Entwicklung – und gleichzeitig die wichtige Beziehung zu den Bezugspersonen aufrechterhalten.
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Besonders im Fall von frühen Traumata, passiert dies oft dadurch, dass Kinder sich aus der materiellen Welt zurückziehen und ihr Erleben auf andere Ebenen verschieben:
- Fantasie
- Energetische Ebenen
- Die Welt der Gedanken
(Für diese Beobachtung gibt es sogar stehende Begriffe in unserer Sprache. Kinder werden als “Träumerle” oder “Hans-Guck-in-die-Luft” bezeichnet.)
Wo Kinder ohne Trauma mit sicherer Bindung ganz natürlich anfangen ihre Körperlichkeit, Umwelt und sozialen Beziehungen zu erforschen, bleibt das Erleben vieler Kinder mit Entwicklungstrauma viel eher in diesen energetischen Welten.
Als Überlebens-Strategie ist dies unglaublich nützlich, da sie dadurch die Angst, Dysregulation und Herausforderungen weniger wahrnehmen.
Daraus entwickeln sich oft auch eher ungewöhnliche aber echte Fähigkeiten, wie
- (Hoch-) Sensibilitäten
- Spirituelle Erfahrungen (von Gott, anderen Welten…)
- Weisheit
- …
Aber wenn die Spiritualität eine Strategie bleibt, um den Schmerzen und Herausforderungen ihres Lebens zu entgehen, wird dies auch viele Herausforderungen haben.
These 2: Wenn Kinder (Menschen) primär in spirituellen Ebenen leben, bleiben wichtige ‘menschliche’ Entwicklungen aus und ‘Spiritual Bypassing’ wird wahrscheinlich
Wie oben bereits beschrieben: Bei Entwicklungstrauma konnten sich grundlegende menschliche Fähigkeiten nicht entwickeln.
Zum Beispiel:
- Wenn ein Kind zu wenig Berührung erfährt, ist es schwer, einen Kontakt zum eigenen Körper und anderen Menschen zu erleben.
- Wenn ein Kind nicht erleben kann, frei den eigenen Impulsen nachzugehen UND geliebt zu werden, ist es schwer für Kinder ihre eigenen Impulse auszuleben.
Ohne diese Fähigkeiten sind aber viele der ganz “normalen” und menschlichen Tätigkeiten später anstrengend und schwierig:
- Eine erfüllende Beziehung führen
- Erfolgreich meiner Arbeit nachgehen
- Grenzen setzen
- …
Und dann kann es weiterhin ein guter Ausweg sein, die Strategie des Spiritualisierens zu nutzen, um dem daraus entstehenden Stress zu entgehen.
Dies ist es, was dann als “Spiritual Bypassing” bezeichnet wird: “Die Tendenz spirituelle Ideen und Praktiken zu nutzen, um emotionalen Problemen und Wachstums-Herausforderungen aus dem Weg zu gehen”
- Ich brauche keine Beziehung – ich habe Gott
- Ich habe keine Bedürfnisse – die Liebe des Universums gibt mir alles
- Grenzen sind nur Ausdruck des Egos – ich sage ja zu allem
- …
(Gleiches gilt für das Nacheifern von Gurus, die scheinbar diese Probleme und Herausforderungen transzendiert haben: “Wenn Du die Erleuchtung erfährst, wirst Du sehen, dass Beziehungen sowieso überflüssig sind…”)
Dies ist keine freie, menschliche Spiritualität, sondern dies sind Strategien der Dilemmata die sich aus den Erfahrungen der Kindheit entwickelt haben zu entgehen.
Und so lange wir spirituelle Zustände, Zugänge und Perspektiven nutzen, um den eigenen Problemen und eigentlichen Bedürfnissen aus dem Weg zu gehen, werden uns selbst die profundesten Erfahrungen nicht weiterbringen.
(Wir vermuten, dass jeder, der sich tiefergehend mit dem eigenen Selbst auseinandersetzt diese Punkte kennen oder kennenlernen wird, wo wir versuchen den eigenen Herausforderungen durch transzendente Erfahrungen oder die große Erleuchtung zu entgehen.)
These 3: Die Transformation der alten Entwicklungstraumata und Überlebensstrategien ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einer authentischen Spiritualität.
(Dies wird oft als Schattenarbeit bezeichnet - wir empfinden es als präziser und empathischer von alten Überlebens-Strategien zu sprechen.)
Solange wir den Kontakt zu spirituellen Ebenen als Ausweg aus den Dilemmata unserer Vergangenheit nutzen – solange wir die Beziehung zum Universum als Alternative zu Menschen sehen – leben wir keine freie, erwachsene Spiritualität.
Ja, das Spiritualisieren war (und ist oft) der beste Weg, um dem Schmerz zu entgehen, der entstanden ist, weil wir nicht bekommen haben, was wir brauchten. Das ist wichtig anzuerkennen und wertzuschätzen.
Gleichzeitig ist es oft genau diese Strategie, die heute der Erfüllung unserer Bedürfnisse im Weg steht.
Beispiel: Es erzeugt noch immer Stress in mir, Grenzen zu setzen. Ein Ausweg daraus ist, meine Grenzen weg zu meditieren und immer “Eins mit allem” zu sein. Doch so lange ich das tue, werden meine Grenzen nicht wahrgenommen und selbst die schönsten All-Eins-Erfahrungen sind immer gezeichnet von einer darunter liegenden Frustration.
Dann ist die Transformation dieser alten Muster und die Entwicklung der psycho-biologischen Fähigkeiten, die wir als Kind nicht entwickeln konnten, ein essentieller Schritt auf dem Weg zu einem erfüllten Leben.
- Zu verstehen, dass die Emotion der Angst und Sorge aus der Vergangenheit kommen
- Zu realisieren, dass wir nicht grundlegend falsch sind, wenn wir “Nein” zu etwas sagen
- Zu lernen, als Erwachsene für uns einzustehen
- Zu erfahren, wie es ist Grenzen zu setzen UND mit anderen Menschen in Kontakt zu sein
- …
Für uns heißt das: Die Transformation unserer Entwicklungstraumata. In anderen Ansätzen wird dies Schattenarbeit oder Persönlichkeitsentwicklung genannt.
Wir sehen dies als eine Transformation der Überlebens-Strategien die uns einst geschützt und geholfen haben – die uns heute aber im Weg zu einem erfüllenden, menschlichen Leben stehen.
Wenn Du Interesse daran hast, wie das funktionieren kann,
findest Du hier ein ganzes PDF dazu.
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