Die Kraft professioneller Berührung in Zeiten von Corona

Dieser Artikel richtet sich an Professionelle “Mit-Menschen-Arbeiter” – besonders Ärzte, Körperarbeiter und Therapeuten.

In Kurzform: Bereits vor der Corona-Krise lebten ungefähr 70% der Deutschen mit einem “Berührungs-Hunger”, sprich einem Mangel an Berührung.
Dieser Mangel hat tiefgreifende Folgen für das Wohlbefinden und die Gesundheit von Menschen – und damit auch unsere Klienten / Patienten. Diese zeigen sich in einer Vielzahl von körperlichen, emotionalen und seelischen Symptomen, auf die wir weiter unten genauer eingehen.

In diesem Artikel möchten wir die physiologischen Hintergründe dafür, sowie “Wohltuende Berührung” aufzeigen und wie wir in einem professionellen Setting wo wir spezifische Techniken anwenden auch mit “einfachen Berührungen” Menschen gutes Tun können.

Dafür möchten wir euch die eher unbekannten “c-tactilen Nervenfasern” vorstellen, die in Säugetieren dafür angelegt sind, wohltuend- beruhigende – entspannende Berührung zu “erspüren”.

Kurz und Knapp: Die schlechten Nachrichten

(Du findest eine lange Version dieser Informationen HIER)

Eine Studie von Junior Professorin Ilona Croy am Institut für Affective Touch hat gezeigt das bereits 2019 ca. 70 % der Menschen in Deutschland an “Berührungs-Hunger” litten.

Ein solcher Mangel an Berührung ist nicht nur unangenehm oder schade, sondern hat eine Vielzahl an messbaren Folgen für die psycho-biologische Gesundheit von Menschen.

In einer Vielzahl von Studien wurde herausgefunden, dass Menschen die wenig oder kaum Berührung erhielten in mit Punkten schlechter abschnitten als solche, die genug oder viel Berührung erhielten.

Bedeutsam sind dabei die Auswirkungen auf:

  • Stress-Niveau (Probanten weisen ein chronisch höheres Stress-Level auf)
  • Immunsystem und Selbstheilung (schlechtere Immunabwehr und verlangsamte Heilungszeiten)
    erhöhte
  • (Auto-)Aggression
  • Gefühle von sozialer Isolation häufig mit depressiven Tendenzen

Das heißt: Symptome mit denen Menschen sowieso zu uns kommen würden, werden durch den Mangel an Berührung verstärkt.

Die Forscher in diesem Bereich betonen immer wieder, dass Berührung durch nichts anderes ersetzt werden kann: Die Entspannung und Regulation die wir durch Berührung erfahren kann nicht anders “wettgemacht” werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Menschen die weniger Berührung erhalten, haben eine Vielzahl von negativen Folgen.

Dies ist besonders jetzt, in Zeiten in denen viele Menschen Angst vor einer Infektion haben und mehr wirtschaftlicher, sozialer und gesundlheitlicher Stress entsteht eine zusätzliche Herausforderung.

Gerade bei gefährdeten Menschen (alte, kranke …) ist dies eine unglaubliche Belastung.

Die guten Nachrichten: Bereits einfache Berührungen haben eine Vielzahl von positiven Folgen

Auch dies ist ein einer Vielzahl von Studien belegt, die zeigen, dass Wohltuende Berührung bereits innerhalb kürzester Zeit vielfältige positiven Wirkungen hat.

Der Physiologische Hintergrund Wohltuender Bewegung Oder: Tut jede Berührung gut?

Tut jede Berührung gut? Ja und Nein.
Es gibt Studien, die zeigen, dass allein der Handschlag des Doktors, 5 Sekunden die Hand auf die Schultern legen messbar positive Resultate haben.
Das sind sehr gute Nachrichten!

Gleichzeitig gibt es aber auch eine wachsende Evidenz, dass bestimmte Arten der Berührung besonders positive Wirkung haben – und diese sogar mit einer vor ca. 15 Jahren entdeckten anatomischen Struktur zusammenhängen.

Dabei handelt es sich um die so genannten c-tactilen Fasern oder umgangssprachlich den “Kuschelsinn”.
Dies ist ein Sinn, der Berührung wahrnimmt, aber dabei anders als unser “Tastsinn” (Beta-Fasern) funktioniert:

Die Beta-Fasern des Tastsinns ist dafür da, die unterschiedlichen Dinge der Welt zu ertasten – die c-tactilen Fasern des Kuschelsinns sind dafür da zu erspüren “Ist das angenehm?” “Bin ich sicher?”.

Dabei sind diese c-tactilen Fasern besonders wichtig, da sie direkt für die Ausschüttung von Dopamin und Oxytocin im Hirn sorgen können. Wenn unser Kuschelsinn sagt: “Das ist schön, ich bin hier sicher” sorgt dies für eine direkte Entspannung, Wohlbefinden und Regulation des Systems.

Was die CT-Fasern singen lässt: Die richtige Berührung im richtigen Setting

Die Forschung von Ilona Croy betont ein einfaches Prinzip für Wohltuende Berührung, welches mit der Grundlage unseres Trainings sehr gut übereinstimmt:

Eine passende Berührung (warme Hand, angenehmer Druck) in einem passenden Setting (ich vertraue der Person, ich fühle mich möglichst sicher) wird als positiv oder wohltuend erlebt.

Im Detail heißt das folgendes:

  • Ein passendes Setting / passende Beziehung:
    Eine Berührung wird nur dann diese positiven Resultate haben, wenn die empfangende Person sich sicher genug fühlt.
    Es braucht eine Beziehung, die positiv und klar genug, dass die Person auch berührt werden will.
    Gott sei dank, braucht dies keine stundenlangen Unterhaltungen, sondern nur eine Basis auf der die Person sich wertgeschätzt fühlt. (Jeder Arzt oder Masseur weiß, dass dies in Sekunden passieren kann…)
  • Eine passende Berührung: Nicht zu hart, nicht zu weich. Den Studien Croys entsprechend hat der Streichelsinn ziemlich klare Vorlieben:

Sprich: Die Berührung einer menschlichen Hand, die langsam über die Hautoberfläche streicht. So ziemlich exakt das, was wir automatisch mit Menschen tun, die wir mögen.

Die Folgen: Menschen fühlen sich sicher und geborgen.
Und selbst wenn die Berührung nur für ein paar Momente dauert, können die Folgen dieser Berührung andauern:

  • Dopamin & Oxytocin regulieren die Gefühle
  • Das Immunsystem wird gestärkt

Wie wir dies in unserer Arbeit nutzen können:

In den Worten von Prof. Martin Grunewald, Leiter des Haptik-Labors in Leipzig: “Menschen produzieren körperliche & seelische Leiden, ohne Körperkontakt.”

Wenn Menschen wegen ihrer körperlichen Leiden zu uns kommen, haben wir die Chance Berührung als Teil unserer normalen Behandlungen zu nutzen, um Menschen auch auf dieser Ebene “Nahrung” anzubieten:

  • Als Masseure können wir “Streichelsinnfreundliche” Berührungen neben z.B. der tiefen Faszienarbeit einbauen
  • Als Physiotherapeuten können wir während der Anamnese auf das sichere Setting und angenehme Berührungen achten
  • Als Ärzte können wir uns für anstelle eines Handschlags mehr Zeit nehmen für physisch-palpatorische Untersuchungen
  • Als Therapeuten können wir gucken, ob wir Menschen nicht auch ganz körperlich den Rücken stärken.
  • Und vermutlich sind Friseure nicht nur für das Gespräch und veränderte Aussehen momentan so beliebt – bei Haarwäsche und Kopfmassage als “Pflichtprogramm” – hoffentlich in einem angenehmen Kontakt 😉

Selbstverständlich ist es wichtig, auf Sicherheit und Hygiene zu achten. Aber im Rahmen der geltenden Verordnungen können wir zusätzlich die Brille der „Wohltuenden Berührung“ aufsetzen. 

In Zeiten, wo Menschen ihre Freunde, Bekannte und teilweise Familie immer noch Abstand halten sollen, haben wir die Möglichkeit ihnen für ein paar Momente und Minuten Linderung zu verschaffen und den Berührungshunger zu stillen.

Lasst uns das beste daraus machen!