(Unabsichtliche) Manipulation in Sessions

In Anbetracht der momentanen politischen Lage, den gegenseitigen Anklagen der Manipulation – durch die “obrigkeitshörigen Medien” oder “desinformierte Verschwörungstheoretiker” je nachdem wem man zuhör – möchten wir uns dem Thema  “Manipulation” etwas anders nähern:

Wie findet Manipulation in Behandlungen statt?

Dabei geht es nicht um Manipulation im manualtherapeutischen Sinne – nur um ganz sicher zu gehen ;- )  sondern um Beeinflussung des Erlebens & Verhaltens von Klienten durch den Therapeuten / Körperarbeiter.

Dieses Thema ist unserer Meinung nach sehr wichtig und gleichzeitig nicht angenehm oder leicht zu besprechen ist: 

Wann manipulieren Therapeuten die Erfahrung und das Verhalten ihrer Klienten? 

Und wie kann dies zu einem Problem werden?

Wir möchten mit dieser Frage keine Schuld zuschieben oder böse Absicht unterstellen: gegenseitige Beeinflussung – ob bewusst oder unbewusst – ist ein natürlicher Bestandteil menschlicher Interaktion.

Wenn dies allerdings in einem therapeutischen Setting passiert, kann Manipulation nicht nur die Wirksamkeit von Behandlungen massiv reduzieren, sondern Klienten auch immer wieder in Situationen bringen, die ihnen nicht gut tun. 

Und das ohne eine einzige bösartige Intention des Therapeuten!

Was ist Manipulation?

Manipulation ist in erster Näherung eine Einflussnahme auf das Verhalten, Denken und Fühlen einer anderen Person zu meinen Gunsten. 

Das heißt, dass ich eine andere Person so beeinflusse, dass ihr denken, fühlen und handeln dem entspricht, was mir gefällt, dient oder was ich erwarte. Dies kann bewusst passieren aber auch durch die Wirkung meiner unbewussten Erwartungen und Glaubenssätze. 

Dabei gilt: Je mehr Macht ich in einer Situation habe, desto mehr Einfluss kann ich auf eine andere Person nehmen. Eine Position und Rolle mit viel Macht ist die Expertenposition, z.B. von Therapeuten, Coaches,  Ärzten, Trainern und (Yoga-)Lehrern etc. zu denen eine Hilfesuchende Menschen gehen da sie sich vermeintlich damit auskennen.

Manipulation in Behandlungen

In Behandlungen gibt es bestimmte Knackpunkte, die natürliche “Eingangstore” für Manipulationen sind. Sprich, dies sind Momente in denen diese Einflussnahme – ob gewollt oder nicht – besonders leicht passiert.

1) Richten wir die Session an dem aus, was die Klientin EXPLIZIT will – oder dem, was wir glauben sie braucht?

Eingeständnis von mir: Es fällt mir nicht immer leicht, mich explizit an dem zu orientieren, was eine Protagonistin sich wünscht. Warum? Weil ich oft glaube, tiefere Schichten des Problems und von unbewussten Bedürfnissen zu erkennen.

Das Problem daran: Selbst wenn ich Recht habe, orientiere ich mich damit an MEINER Einschätzung und glaube, diese ist wichtiger als die der Klientin. Ich tue das, von dem ich glaube, es wird der Protagonistin gut tun – nicht das, was sie sich explizit wünscht. Und damit bin ich dann schon in der Ausrichtung der Session auf dünnem Eis. 

Eine weitere Herausforderung: Weiß ich überhaupt, was die Klientin will? Viele Körperarbeiter arbeiten mit Rezepten oder ungeklärten Vereinbarungen (“Ich möchte eine Massage”). 
Wenn ich nicht weiß, was Menschen sich wünschen, ist es sehr leicht Dinge zu tun, die gegen ihre Wünsche gehen.

2) Wer interpretiert und bestimmt, was gerade passiert?

In Behandlungen passieren viele Dinge, deren Bedeutung nicht offensichtlich ist – und die nicht unmittelbar gut oder schlecht sind:

  • Ein Muskel wird lockerer. Ist das gut?
  • Der Arm zuckt. Was bedeutet das?
  • Eine starke Emotion kommt hoch. Das ist schon ok, oder?

Es ist leicht als Therapeut zu glauben, wie wüssten die Antworten auf diese Fragen – ohne jemals einzuchecken, wie es für den Klienten ist. Wenn ich “weiß”: “Mehr Emotion = besser” ist klar, wie ich meine Behandlungen ausrichten werde. 

Vielleicht erlebt der Klient dies aber ganz anders. Wenn wir als Therapeuten die Interpretationen in Sessions vorgeben oder ungefragt annehmen, wir wüssten wie Klienten Dinge wahrnehmen, passiert es leicht, dass wir ihnen unsere (oft unbewusste) Sicht der Dinge aufdrücken.

3) Werden die Behandlungsansätze mit dem Feedback der Klientin angepasst – oder “weiß” der Therapeut, was gut ist?

Als Körperarbeiter wissen wir NIE wie ein Behandlungsansatz bei unseren Klienten ankommen wird. Was für einen Klienten der Himmel ist, lässt den Körper einer anderen Klientin zusammenziehen. 

Je mehr wir als Therapeuten einem bestimmten Behandlungsansatz folgen und glauben, dieser sei notwendigerweise “gut” für eine Person, desto leichter ist es, dass unsere Behandlung Menschen nicht gut tut.

Deswegen ist es umso wichtiger auf das körperliche, emotionale aber auch verbale Feedback der Menschen mit denen wir arbeiten zu setzen.

Das Spannungsfeld für uns Therapeuten

Therapeuten befinden sich dabei in einem verzwickten Spannungsfeld:

Menschen kommen zu uns, weil sie sich Unterstützung wünschen. Und wir wollen sie dabei begleiten, mit ihren Geschichten, Ressourzen und Wünschen neue Wege zu finden, z.B. gen Heilung, Entwicklung und Empowerment zu erfahren. 

Dafür braucht es oft neue Erfahrungen, Interpretationen und Werkzeuge – solche, die die Person noch nicht hat. Das heißt, wenn wir Menschen dabei begleiten, begleiten wir sie häufig in Bereiche, in denen sie sich noch nicht so gut auskennen. Wir sind hier die Experten. 

Das ist wunderschön und teilweise herausfordernd. Denn es ist sehr leicht, uns dabei an Dingen zu orientieren, von denen wir glauben, dass sie gut sind, die aber nicht dem entsprechen, was unsere Klienten wollen und was ihnen hilft. 

Ein paar Beispiele für solche Konflikte:

Die Grundfrage

Wie können wir unsere Expertise anbieten ohne unsere Interpretationen vorzugeben und dadurch der Manipulation Tür und Tor zu öffnen?

Anders ausgedrückt: Wie können wir der menschlichen Tendenz widerstehen, unseren eigenen Vorstellungen, Theorien und Methoden blind zu folgen. Und uns stattdessen an dem zu orientieren, was 

  • Klienten wirklich wollen?
  • Was sie gerade als Interpretation der Geschehnisse haben?
  • und was ihnen tatsächlich hilft?

(Beispiele für Vorstellungen, Theorien und Methoden können sein:

  • Jeder Mensch sollte so stehen, wie die “Hypothetische Norm” 
  • Angst loslassen sieht immer so aus
  • …)

Ja, wir haben einen Erfahrungsvorsprung – und wie können wir diesen nutzen, um Menschen zu begleiten aus sich heraus neue Erfahrungen zu machen, ohne ihnen unser Weltbild vorzugeben?

Mögliche Tools:

 

1) Wunsch & Ziel klären 

Wenn ich weiß, was jemand wirklich will kann ich meine gesamte Behandlung daran ausrichten.

Unserer Erfahrung nach haben besonders Behandlungen, die keine klare Vereinbarung und Ausrichtung haben ein besonders großes Potential für Manipulation, denn ich als Behandler kann mich dann nur an dem orientieren, was ich für wichtig halte.

Einen gesamten Artikel zu Zielen und Wünschen in der Körperarbeit findest Du hier: https://holistic-bodywork.org/blog-wuensche-ziele-in-der-koerperarbeit/

2) Psycho-Edukation: Wissen & Orientierung anbieten, so dass Menschen selbst erkennen können, was gerade passiert

Anstatt Menschen vorzugeben, was gerade passiert (“Das ist Dein Trauma” oder “Das hilft Dir gerade”) können wir ihnen Wissen und Orientierung anbieten, damit sie sich selbst verorten können.

  • Wir können erklären, was die Anzeichen für Schock-Traumata sind und sie fragen “Passt das irgendwie zu Deiner Erfahrung?”
  • Bei einer Massage-Technik könnten wir erklären: “ Diese Muskeln setzen am Hinterkopf an und können bei viel Spannung Kopfschmerzen erzeugen oder verstärken … Wie ist dies jetzt für Dich? Beobachte auch gern nach der Behandlung, ob sich eventuell etwas an deinen Kopfschmerzen verändert.”

Wir lassen Menschen es selbst einordnen – anstatt ihnen unsere Interpretationen vorzugeben. 

3) Feedback in Echtzeit – Behandlungsansätze erklären, dann Feedback einholen und beobachten

Wir können nie vorhersagen, wie eine bestimmte Technik oder Frage bei einer Person wirkt. Das ist eine der schwierigen Wahrheiten als Therapeut. 

Wir kennen das Potential der Technik. Wir wissen, sie kann helfen. Aber wir wissen nie, ob sie das auch tun wird. Denn jeder Körper ist anders. Jede Person erlebt Dinge anders.  

Deswegen ist es so wichtig,  Behandlungsansätze immer wieder zu überprüfen:

  • Wie reagiert der Körper und das Nervensystem der Person?
  • Wie nimmt sie diese Technik wahr?
  • Was passiert auch emotional?
  • Und bringt dies die Person ihrem Wunsch / Ziel näher?

Dies können wir bis zu einem bestimmten Punkt durch genaue Wahrnehmung tun – aber irgendwann müssen wir die Klienten auch fragen!

Besonders wie ein Klient Dinge wahrnimmt können wir nie genau wissen – und macht aber für die Integration und langfristige Veränderungen einen riesigen Unterschied. Deswegen legen wir großen Wert auf dieses “Feedback in Echtzeit”.

Wir hoffen, diese Gedanken helfen Dir.

Bis zum nächsten Mal!